Was unterhaltspflichtige Eltern wissen müssen
Wie weit geht die Pflicht zur Erwerbstätigkeit, wenn Kindesunterhalt geschuldet wird? Mit Beschluss vom 28. Februar 2024 (Az. 13 UF 396/21) hat das Oberlandesgericht (OLG) Koblenz klare Maßstäbe gesetzt: Unterhaltspflichtige Elternteile können sich nicht ohne Weiteres auf Teilzeitarbeit oder familiäre Verpflichtungen berufen, um ihrer Zahlungspflicht zu entgehen.
Die Entscheidung bietet wertvolle Orientierung für Eltern in Unterhaltsfragen – insbesondere, wenn es um die Anrechnung fiktiven Einkommens geht.
Der Fall: Unterhalt für die minderjährige Tochter
Im konkreten Fall verlangte eine Tochter, die beim Vater lebte, von ihrer Mutter rückwirkend Kindesunterhalt für den Zeitraum ab Juli 2018 bis zu ihrer Volljährigkeit im Jahr 2022. Die Mutter betreute den jüngeren Bruder, ein knapp 12-jähriges Kind, und war in Teilzeit tätig. Dennoch sahen sowohl das Amtsgericht als auch später das OLG Koblenz die Mutter verpflichtet, den Mindestunterhalt zu leisten.
Entscheidend war dabei nicht nur das tatsächlich erzielte Einkommen der Mutter, sondern auch ein fiktives Einkommen, das ihr aufgrund unterlassener Erwerbsbemühungen zugerechnet wurde.
Die gerichtliche Bewertung: Erwerbsobliegenheit ernst genommen
Das Amtsgericht stellte zunächst fest, dass die Mutter über ein unterhaltsrechtlich relevantes Einkommen von rund 1.464 Euro netto verfügte. Zusätzlich hätte sie jedoch eine Nebentätigkeit im Umfang von etwa zehn Wochenstunden aufnehmen können, was ein weiteres monatliches Einkommen von rund 360 Euro bedeutet hätte. Belegt wurden diese Annahmen mit den seinerzeit gültigen gesetzlichen Mindestlohnvorgaben für die relevante Zeitspanne.
Das Gericht machte deutlich: Die Betreuung eines knapp 12-jährigen Kindes hindere eine Vollzeittätigkeit grundsätzlich nicht. Selbst dann, wenn keine Ganztagsbetreuung verfügbar sei, könne ein Kind dieses Alters regelmäßig kurze Zeiten am Nachmittag selbstständig zu Hause verbringen.
Die Umgangskosten der Mutter in Höhe von 100 Euro monatlich wurden ebenso wenig als abzugsfähige Belastung anerkannt wie die Verfahrenskostenhilferaten aus einem früheren Scheidungsverfahren. Beides minderte das unterhaltsrelevante Einkommen nicht.
Die Argumente der Mutter: Nicht ausreichend überzeugend
In der Beschwerde argumentierte die Mutter, eine Nebentätigkeit sei ihr unmöglich gewesen, da ihr Arbeitgeber diese untersagt habe. Zudem verwies sie auf die besondere Betreuungsbedürftigkeit des jüngeren Sohnes, der an Entwicklungsschwierigkeiten leide. Schließlich brachte sie vor, dass sie Anfang 2022 ein weiteres Kind geboren habe und seither Elterngeld beziehe.
Diese Argumentation überzeugte das OLG Koblenz jedoch nicht. Nach Auffassung des Gerichts hätte die Mutter alternative Beschäftigungsmöglichkeiten – beispielsweise samstags oder bei zeitlich flexiblen Nebenjobs – prüfen und darlegen müssen, warum eine Nebentätigkeit unmöglich gewesen sein sollte. Auch die Belastungen durch die Betreuung des Sohnes änderten nichts daran, dass eine Vollzeittätigkeit grundsätzlich zumutbar sei.
Selbst die Schwangerschaft und die Geburt eines weiteren Kindes führten nicht automatisch dazu, dass ein fiktives Einkommen entfiele. Während des Mutterschutzes bestand weiterhin Anspruch auf Gehalt und damit auch auf das fiktive Zusatzeinkommen. Nach der Geburt hätte zudem ein Unterhaltsanspruch gegen den Vater des neuen Kindes geprüft und geltend gemacht werden müssen.
Keine Ersatzhaftung des Vaters
Das Gericht stellte außerdem klar: Eine Ersatzhaftung des betreuenden Elternteils (hier: des Vaters, bei dem die Tochter lebte) kommt nur in Betracht, wenn dessen Einkommen das Dreifache des Einkommens des unterhaltspflichtigen Elternteils übersteigt. Dies war hier nicht der Fall. Der Vater musste daher nicht für den Barunterhalt aufkommen.
Fazit: Erwerbsobliegenheit endet nicht bei Teilzeitarbeit
Die Entscheidung des OLG Koblenz macht deutlich:
Elternteile, die unterhaltspflichtig sind, können sich nicht allein auf ihre bestehende Teilzeitbeschäftigung berufen. Vielmehr sind sie verpflichtet, alle zumutbaren Möglichkeiten auszuschöpfen, um den Unterhalt für ihr Kind sicherzustellen. Dazu gehört auch die ernsthafte und nachweisbare Suche nach einer zusätzlichen Beschäftigung.
Familiäre Belastungen, wie die Betreuung eines fast 12-jährigen Kindes oder eine Schwangerschaft, ändern an dieser Verpflichtung grundsätzlich nichts. Das Gericht betont ausdrücklich, dass auch während des Mutterschutzes unterhaltsrelevante Einkünfte bestehen bleiben und dass nach der Geburt ein vorrangiger Unterhaltsanspruch gegenüber dem neuen Kindsvater zu prüfen ist.
Für unterhaltspflichtige Eltern bedeutet dies: Wer seine Erwerbsobliegenheit nicht ernst nimmt, muss damit rechnen, dass ein höheres Einkommen fiktiv angerechnet wird – und damit letztlich auch höhere Unterhaltsforderungen auf ihn zukommen.
©Karola Rosenberg