Umzug ohne Zustimmung

Der Hintergrund:
Eine Mutter flüchtet mit den kleinen Kindern von Süddeutschland nach Norddeutschland. Sie berichtet von Gewalt, Überwachung und Kontrolle.

Der Vater beantragt das Aufenthaltsbestimmungsrecht im Eilverfahren, weil die Mutter ihm widerrechtlich die Kinder entzogen hat und bindungsintolerant sei. Er berichtet, dass er nicht gewalttätig war, der Mutter sogar die gemeinsame Wohnung zur Nutzung überlassen würde und gerade zu dem älteren Kind eine enge Bindung habe.

Die Mutter bietet an, in die Nähe zurückzukehren, damit der Umgang stattfinden kann, weigert sich aber, in die alte Wohnung zu ziehen und beantragt auch das Aufenthaltsbestimmungsrecht.

So haben die Gerichte (AG und OLG) entschieden:

Die Mutter durfte mit den Kindern nicht einfach abhauen. Sie übte das gemeinsame Sorgerecht mit dem Vater aus, so dass die Veränderung des Lebensmittelpunktes der Kinder ohne Zustimmung beider Eltern eigentlich nicht Okay ist.

Eine Kindesentführung ist das aber trotzdem nicht. Die läge nur vor, wenn die Mutter mit den Kindern ins Ausland abgedampft wäre.

Der Umzug mit Kindern ohne Zustimmung ist also erstmal ein Fehlverhalten der Mutter. ABER: wir sind im Kindschaftsrecht. Und da hat schon 2009 das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass Entscheidungen keinen Sanktionscharakter haben dürfen, sondern nur am Kindeswohl zu orientieren sind (FamRZ 09, 189).

Das „Abhauen“ ist also nicht per se böse, sondern es muss geprüft werden, ob durch den Umzug das Kindeswohl negativ beeinträchtigt wird und sich Rückschlüsse auf die Erziehungseignung der Mutter ergeben (FamRZ13, 1588). Hier kann Bindungstoleranz und die Ermöglichung von Umgang auf der einen Seite und das Recht und die Pflicht, die Kinder zu schützen auf der anderen Seite geprüft werden.

Während früher häufig empfohlen wurde, einfach „Tatsachen“ zu schaffen, führt ein solches Verhalten heute häufig über die „ertrotzte Kontinuität“ zu der Annahme der Einschränkung der Erziehungsfähigkeit. Aus dem Haushalt auszuziehen, erntet regelmäßig Verständnis und man kann noch alles in Ruhe regeln. Ohne Zustimmung oder Aufenthaltsbestimmungsrecht weit wegzuziehen, erntet wenig Verständnis und ist hochriskant.

Im vorliegenden Fall haben die Gerichte den Gesamtsachverhalt zugunsten der Mutter ausgelegt und ihr vorläufig das Aufenthaltsbestimmungsrecht übertragen.

Wenn es knallt, vorläufig zur Oma oder ins örtliche Airbnb oder Frauenhaus zu ziehen, ist das eine. Hunderte Kilometer wegzuziehen, das andere. Besonders wenn die Beweise dünn sind, kann das schnell nach hinten losgehen.

Ganzer Beschluss: OLG Stuttgart Beschluss vom 10.02.2023 – 15UF267/22 FamRZ23, 702 m. Anm.)

Urheber: Karola Rosenberg
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