In der gemeinsamen elterlichen Sorge ist nicht immer klar, welche Entscheidungen der Alltagssorge des betreuenden Elternteils unterfallen und welche eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung darstellen. Letztere bedürfen der Zustimmung beider Elternteile. Doch was passiert, wenn ein Elternteil die Zustimmung zu einer wichtigen Entscheidung verweigert?
Eine Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Karlsruhe vom 31. Juli 2024 (Az. 20 UF 85/24) verdeutlicht die rechtliche Einordnung solcher Fälle. Es ging um die Frage, ob die Entscheidung über eine ADHS-Medikation als Gesundheitsangelegenheit von erheblicher Bedeutung anzusehen ist.
Hintergrund des Falls
Das Familiengericht hatte auf Antrag der Mutter die Entscheidungsbefugnis zur kinder- und jugendpsychiatrischen Behandlung des gemeinsamen achtjährigen Kindes auf sie übertragen. Der Junge leidet an einer diagnostizierten hyperkinetischen Störung des Sozialverhaltens mit ADHS. Die Eltern konnten sich nicht über eine weiterführende Medikation einigen.
Die Mutter beabsichtigte eine Höherdosierung der bereits bestehenden Medikation, während der Vater dies ablehnte. Er bestand auf einer nur befristeten Zustimmung und verlangte eine regelmäßige Rückabstimmung mit der behandelnden Ärztin. Aufgrund dieser Uneinigkeit stellte die Ärztin die Weiterbehandlung ein.
Gerichtliche Beurteilung
Das Amtsgericht zog § 1697a BGB heran, wonach das Familiengericht in solchen Fällen eine Entscheidung treffen muss, die dem Kindeswohl am besten entspricht. Das Gericht entschied, dass die Entscheidungsbefugnis auf die Mutter zu übertragen sei. Das Verhalten des Vaters wurde als ambivalent und verzögernd eingestuft, was dazu führte, dass eine durchgehende Behandlung des Kindes nicht sichergestellt werden konnte.
Die Beschwerde des Vaters
Der Vater legte Beschwerde ein und verlangte die Rückübertragung der Entscheidungsbefugnis auf beide Elternteile. Er argumentierte, dass er die Medikation nicht generell ablehne, aber eine umfassende Aufklärung über Behandlungsplan, Risiken und Nebenwirkungen einfordere. Zudem kritisierte er, dass die Mutter ihm den Informationsaustausch verweigere. Die Schule teile seine Bedenken hinsichtlich einer Höherdosierung nicht.
Die Position der Mutter
Die Mutter hingegen sah in der Übertragung der Entscheidungsbefugnis eine Notwendigkeit. Der Vater habe seit zwei Jahren eine konsistente Behandlung blockiert, da er jede fachärztliche Beratung als unzureichend bewerte. Sein Verhalten habe letztlich zum Abbruch der Behandlung geführt.
Entscheidung des OLG Karlsruhe
Das OLG bestätigte die Entscheidung des Familiengerichts und begründete dies mit § 1628 BGB. Demnach kann das Gericht einem Elternteil die alleinige Entscheidungsbefugnis übertragen, wenn die Eltern sich bei einer Angelegenheit von erheblicher Bedeutung nicht einigen können.
Das Gericht stellte klar, dass es sich bei der Frage der Medikation nicht um eine Angelegenheit des täglichen Lebens nach § 1687 BGB handelt, sondern um eine Gesundheitsentscheidung mit langfristigen Auswirkungen. Da der Vater durch sein Verhalten eine kontinuierliche medizinische Betreuung verhindert habe, sei die Mutter als der geeignetere Elternteil anzusehen, um eine fachärztlich begleitete Behandlung sicherzustellen.
Bedeutung für die Praxis
Das Urteil verdeutlicht die Bedeutung einer klaren Trennung zwischen Entscheidungen der Alltagssorge und solchen von erheblicher Bedeutung. Bei Gesundheitsfragen, insbesondere bei kinderpsychiatrischen Behandlungen, wird die Entscheidungsbefugnis dem Elternteil zugesprochen, der das kindeswohlorientierte Konzept verfolgt.
Zudem betont das Gericht, dass die Übertragung der Entscheidungsbefugnis nicht bedeutet, dass eine bestimmte Therapie gerichtlich angeordnet wird. Vielmehr obliegt es der Mutter, in enger Abstimmung mit den Fachärzten eine geeignete Therapie zu treffen.
©Karola Rosenberg